Latex-Häutungen

Mit Heidi Bucher (* 1926 Winterthur, † 1993 Brunnen, Schweiz) präsentiert das Haus der Kunst eine bedeutende und wiederzuentdeckende Künstlerin der internationalen Neo-Avantgarde, die mit ihren Latex-Werken die Zwänge und Befreiungsprozesse menschlicher Existenzformen ergründet.

Heidi Bucher beim Häutungsprozess von Herrenzimmer, 1978. The Estate of Heidi Bucher. Foto: Hans Peter Siffert
Heidi Bucher beim Häutungsprozess von Herrenzimmer, 1978. The Estate of Heidi Bucher. Foto: Hans Peter Siffert

Mit ihrer performativen Arbeit lenkt sie den Blick auf den Körper im Raum, dem sich Erlebnisse, Beziehungen und Emotionen einschreiben.

Aus Buchers anfänglicher Faszination für ein Zusammenspiel von Kunst und Mode gingen schon im Kalifornien der frühen 1970er-Jahre geschlechterlose Körperskulpturen hervor.

„Räume sind Hüllen, sind Häute. Eine Haut nach der andern ablösen, ablegen: Das Verdrängte, Vernachlässigte, Verschwendete, Verpasste, Versunkene, Verflachte, Verödete, Verkehrte, Verwässerte, Vergessene, Verfolgte, Verwundete.“ Heidi Bucher
Libellenlust (Kostüm), 1976. The Estate of Heidi Bucher. Foto: Daniele Kaehr
Libellenlust (Kostüm), 1976. The Estate of Heidi Bucher. Foto: Daniele Kaehr

Mit den unter enormen körperlichen Kraftanstrengungen durchgeführten Latex-Häutungen übertrug Bucher psychische Prozesse auf das Material. Die Inbesitznahme und Verwandlung von Räumen wurde Mitte der 1970er Jahre zum Leitmotiv, beginnend mit dem Abzug ihres eigenen Künstler-Studios Borg im Kühlraum einer ehemaligen Metzgerei. Auch in ihrem Elternhaus trug sie flüssiges Kautschuk auf Boden und Wände des „Herrenzimmers“ (1978) auf, das ehemals den männlichen Familienmitgliedern vorbehalten gewesen war, und löste mit dieser Häutung sinnbildlich die patriarchale Familienstruktur ab.

Heidi Bucher. MetamorphosenInstallationsansicht / Installation view Herrenzimmer, 1978. Haus der Kunst, 2021. Foto: Markus Tretter
Heidi Bucher. MetamorphosenInstallationsansicht / Installation view Herrenzimmer, 1978. Haus der Kunst, 2021. Foto: Markus Tretter

Die Schauplätze, die Heidi Bucher wählte, besaßen vielfach private und öffentliche Bedeutung zugleich, wie die psychiatrische Klinik Bellevue am Bodensee. Sie häutete dort unter anderem das „Audienzzimmer des Doktor Binswanger“ (1988), wo Sigmund Freud in engem Austausch mit Binswanger seine erste Probandin, die vermeintliche Hysterie-Patientin Anna O. und spätere Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim, behandelte.

Wenn Heidi Bucher mit ihren Häutungen gesellschaftliche wie private Machtstrukturen entlarvte, so öffnete sie in einem nächsten Schritt den Raum auch für Veränderung.

Die Retrospektive zeigt bis zum 13. Februar 2022 über 150 Exponate und bisher unbekanntes Film- und Archivmaterial. Zur Ausstellung ist ein Symposium am 5.2.2022 geplant.

Regine Geibel
Dipl.-Ing. Architektur, Chefredakteurin von MünchenArchitektur

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